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Prof. Dr. Volker Schütz

Zum Stellenwert der "Pop / Rockmusik" im schulischen Musikunterricht - Konsequenzen für eine pop / rockbezogene Weiterbildung von Musiklehrern
 

Kuturelle Bedeutung der Pop / Rockmusik

1. Die Hinwendung Jugendlicher zu spezifischen musikbezogenen Teilkulturen erfolgt im Zusammenhang einer Suche nach Formen der pragmatischen Alltagsbewältigung und, darüber hinaus, auf der Suche nach dem, was den Menschen emotionale Sicherheit, geistige Sicherheit, einen Sinnzusammenhang bietet (Weltanschauung, Religion, Ideologie). Jeder Jugendliche strebt tendenziell danach, Subjekt seiner eigenen Geschichte zu werden. Bei diesem Streben nach sozialer und personaler Orientierung, Identität, Individualität können pop / rockbezogene Teilkulturen von existentieller Bedeutung sein. Für viele Jugendliche sind sie gewichtiger Teil ihres Lebenstils. SchülerInnen sind so aktive Teilhaber an (Musik-) Kultur. Sie wissen sehr genau, wie Musik zu sein hat und welche Umgangsformen mit Musik angemessen sind, um den existentiellen Erfordernissen Genüge zu leisten.

2. Pop/rockbezogene Teilkulturen haben im Laufe ihrer Entwicklung (insbesondere seit den frühen 60er Jahren) je eigene, vielfältige musikalische Ausdrucks-, Produktions- und Rezeptionsformen entwickelt, die trotz aller Differenzierungen einige ästhetische Gemeinsamkeiten aufweisen: (1) Sie sind tendenziell oral cultures; (2) ein zentrales Bezugsmoment der Musiken ist der Körper (daher z. B. die besondere Bedeutung des Parameters Rhythmus; angemessene Rezeption bedeutet “Hören mit dem ganzen Körper”), (3) Pop/ Rockmusik zielt tendenziell auf eine bestimmte Erfahrung von Zeit: “zyklische, vertikale Zeiterfahrung”, (4) Voraussetzung für das Verstehen der Musiken ist ein “involvement”, ein Verfügen über einen bestimmten musikbezogenen Erfahrungs- und Wissensbestand. (5) Pop/ Rockmusiken (Produktions- und Rezeptionsformen) haben sich in der Regel in enger Wechselwirkung mit und unter Bezug auf die marktorientierten Massenmedien entfaltet.
 

Pop/rockspezifische Teilkulturen und Musikunterricht

1. Drei Aspekte machen eine Thematisierung der Pop/Rockmusik im Musikunterricht sinnvoll und notwendig:

a) Rock/Popmusik ist Musik aus aktuellen und lebendigen Teilkulturen unserer SchülerInnen (kultureller Aspekt). SchülerInnen haben eigene Erlebnisse/Erfahrungen mit Musik, eigenes Wissen über Musik, eigene Handlungsformen mit und Kommunikationsformen über Musik entwickelt.

b) Pop/Rockmusik ist für viele SchülerInnen ein wichtiger Orientierungsbereich im Zusammenhang ihrer sekundären Sozialisation (sozialer Aspekt).

c) Sie bietet von ihrer Ästhetik her eine enorme Bereicherung musikbezogener Erfahrungsmöglichkeiten (ästhetischer Aspekt).
 

2. Schulischer Musikunterricht sollte

a) soziale und kulturelle Musikerfahrungen erweitern helfen:

  • SchülerInnen in ihrer musikkulturellen Erlebniswelt bestärken

  • die schülereigene musikbezogene Erlebniswelt thematisieren und reflektieren

  • weitergehende Erfahrungen (in einer sozial akzeptierten Gruppe) mit dem eigenen Selbst anderen Menschen und anderen musikkulturellen Ausdrucksformen ermöglichen

  • einen eigenen Mikrokosmos von unterschiedlichen musikbezogenen Teilkulturen an der jeweiligen Schule aufbauen; gleichzeitig ein positives Verhältnis aller musikbezogenen schulischen Teilkulturen (wie sie repräsentiert sind durch das Schulorchester, den Chor, die Pop-/Folk-Tanzgruppe, die Rockgruppe, das Latin- oder Afro-Perkussions-Ensemble u. ä.) zueinander befördern, um gegenseitiges Verstehen und Interaktion, zugleich auch teilkulturelle Individualisierungs- und Differenzierungsversuche zu begünstigen.

b) Ästhetische Erfahrungen mit Musik vertiefen und erweitern:

  • den SchülerInnen vielfältige Chancen bieten, (Pop/Rock-) Musik selber kreativ und aktiv (in der Gruppe) zu gestalten, bewusst zu erleben, zu geniessen, zu reflektieren (Musik als Ergebnis des gemeinsamen Handelns von gesellschaftlichen Menschen zu erfahren)

  • pop / rockspezifische Musikerfahrungen ermöglichen: z.B. “vertikale” Zeiterfahrung (durch Pattern-Struktur und zyklische Abläufe); energetisches Potential von Musik; orale Aufführungspraktiken; Körper als wichtiges musikbezogenes Ausdrucks- und Rezeptionsmedium.

    Dabei ist von teilkulturell geprägten Ausdrucks- und Handlungsbedürfnissen der SchülerInnen auszugehen; diese sollten mit musikbezogenen Handlungszielen verbunden werden, die von SchülerInnen - als musikalischen Laien - akzeptierbar (auf ihren Erfahrungen aufbauend), verstehbar, im Unterricht erlernbar und umsetzbar sind, um so allmählich eine Handlungskompetenz auf- und auszubauen, die eine optimale und vielgestaltige, geistige und sinnliche Nutzung von Musik ermöglicht.

Konsequenzen für eine pop / rockbezogene Weiterbildung von Musiklehrern

Aus den o. g. Erfahrungen und Desideraten erwachsen bestimmte Anforderungen an heutige Musiklehrer. Leider werden MusiklehrerInnen in der 1. und 2. Ausbildungsphase noch immer nicht ausreichend auf diese Anforderungen vorbereitet. Hier besteht ein eminenter Nachholbedarf, der durch Massnahmen der Weiterbildung von Musiklehrern (= notwendige 3. Phase der Ausbildung) eingelöst werden kann.

Der Musiklehrer/die Musiklehrerin sollte folgende unterrichtsbezogenen Kompetenzen erwerben:

1. pop / rockbezogene Teilkulturen und ihre Präsentations-, Rezeptions- und Produktionsformen in ihrer sozialen und kulturellen Bedeutung für seine/ihre SchülerInnen analysieren und interpretieren können;

2. die historische Entwicklung der wichtigsten pop / rockbezogenen Teilkulturen und deren spezifische Ausdrucksformen und Aufführungspraktiken (mittels Musik, Tanz, Video) kennen;

3. die ästhetische Bedeutung der Rock/Popmusik erfasst haben: er/sie sollte über die wichtigsten pop / rockmusikalischen Ausdrucksformen und Aufführungspraktiken verügen und tiefergehende musikalisch-künstlerische Erfahrungen in möglichst einem der teilkulturellen Bereiche gemacht haben, mittels Tanzen, Musikmachen, Komponieren, Arrangieren, Improvisieren in Ensembles;

4. die didaktischen Chancen und Probleme pop / rockbezogener Ästhetik und ihrer Ausdrucksformen kennen und über Formen und Methoden der unterrichtlichen Vermittlung - insbesondere im Bereich des Ensemble- und Klassenmusizierens - verfügen.


Literaturhinweis: Schütz, Volker: Didaktik der Pop/Rockmusik - Begründungsaspekte.
In: Helms, S. / Schneider, R. / Weber, R. (Hg.): Kompendium der Musikpädagogik.
Kassel 1995, S. 262 - 280
 

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